Meistertitel fast weg: Einsamer Klinsmann am Abgrund

Aufgebrachte Anhänger, schweigende Club-Chefs, gefrusteter Star – und ein einsamer Chef-Coach am Abgrund: Völlig alleingelassen vom Vorstand klammerte sich Jürgen Klinsmann nach der 0:1-Schlappe gegen Schalke 04 an sein taumelndes Projekt FC Bayern München.

Ich glaube nicht, dass ich mir Sorgen um meine Position machen muss“, behauptete Fußball-Lehrer: “Ich bin ein Kämpfer und mache das Ding weiter. Die Chemie stimmt intern.”

In der Tat seht der deutsche Rekordmeister nach dem blamablen Ausscheiden Champions League und dem DFB Pokal auch in der Liga vor einem Scherbenhaufen. Dabei ist nun auch die Qualifikation für die Königsklasse als Minimalziel einer Münchner Saison nach dem Fall auf Rang drei in Gefahr. “Das, was als Ziel bleibt, ist der zweite Platz“, meinte Franz Beckenbauer im Pay-TV-Sender “Premiere” und bewertete schon einmal einen möglichen vorzeitigen Schlussstrich unter die Ära Klinsmann: “Es wäre jammerschade, wenn es nicht funktioniert. Der FC Bayern hat so viel investiert, Klinsmann hat so viel investiert“, Zudem wäre eine vorzeitige Trennung von Klinsmann ein teures Unterfangen.


Gegen die unter dem Trainer-Triumvirat Büskens/Mulder/Reck von Sieg zu Sieg eilenden Schalker hatten Klinsmann und seine spielerisch wie erstarrt wirkende Mannschaft die Vorstands-Vorgabe nach dem Kopfballtor von Halil Altintop (21. Minute) klar verfehlt. Die Tabellensituation erlaube “nur einen Ausgang: einen Sieg“, hatte Karl-Heinz Rummenigge vorher gefordert – gemessen daran können die Bosse nach der siebten Saison-Niederlage kaum zur Tagesordnung übergehen. Rummenigge verließ am Samstag ebenso wie Manager Uli Hoeneß kommentarlos die Allianz Arena, in der es wieder “Klinsmann raus“-Rufe en masse gegeben hatte.

Man kann noch so viel Ruhe ausstrahlen. Es fehlen einfach die Ergebnisse“, stellte Beckenbauer nüchtern fest. Der Handlungs- und Zeitdruck ist fünf Spieltage vor Saisonende groß – aber wird die Reißleine gezogen? Beckenbauer möchte dem extrem fleißigen Klinsmann eine letzte Galgenfrist gewähren: “Das Heimspiel gegen Gladbach muss gewonnen werden. Sonst wird es für Jürgen eng, das weiß er auch.”

Geht’s noch enger? Beckenbauer sieht neben dem Trainer auch die Profis “gefragt“, aber die großen Defizite im Spiel blieben auch dem Vereinspräsidenten nicht verborgen. “Fußball hat auch ein bisschen was mit Hirn zu tun“, grollte der Weltmeister-Trainer von 1990. Trotz 21:8 Torschüssen, 15:5 Ecken und 25:9 Flanken: ein Spielsystem mit einem Kombinationsfluss von Spielern, die Klinsmann jeden Tag besser machen wollte, war gegen Schalke nicht zu erkennen.


Im Moment brauchen wir nicht über die Meisterschaft zu reden“, meinte Nationalspieler Philipp Lahm fast resignierend. Einspruch, konterten Klinsmann (“wir lassen nicht locker“) und der Kapitän: “Es sind noch 15 Punkte zu vergeben, man darf nie aufgaben“, mahnte Mark van Bommel. Die Jagd auf Tabellenführer VfL Wolfsburg geht aber gegen Mönchengladbach ohne Franck Ribéry weiter, der nach einem Frustfoul gegen Jefferson Farfan ebenso die Gelb-Rote Karte sah (76.) wie der Schalker Jermaine Jones (70.) nach zwei heftigen Fouls an van Bommel.

Der Platzverweis konnte aber Jones’ diebische Freude über den Favoritensturz nicht trüben. “Jetzt haben wir den Bayern das Chaos richtig gebracht“, stichelte der Nationalspieler. Torhüter Manuel Neuer jubelte sogar nach dem Schlusspfiff vor der Schalker Fankurve in Erinnerung an den entrissenen Meistertitel 2001 in Oliver-Kahn- Manier auf dem Boden liegend mit der Eckfahne. “Schalke hat es damals wehgetan. Das war Genugtuung für mich“, bekannte Neuer.

Weniger hitzig und emotional bewertete Büskens den Ausbau seiner Gesamtbilanz als Schalke-Coach auf neun Siege, ein Remis und 22:1 Tore. “Wir haben perfekt füreinander gespielt“, lobte er sein Team. Fan- und Spieler-Liebling Büskens glaubt aber, dass die Schalker Bosse in der Trainerfrage “eine große Lösung suchen“. Die aktuell erfolgreiche liefert Büskens mit Youri Mulder und Oliver Reck. “Erfolg ist schwer austauschbar“, meinte Nationalspieler Heiko Westermann. Erst recht, wenn Büskens das fast Unmögliche schaffen sollte – Rang fünf und den Einzug ins internationale Geschäft. (dpa)