HSV mit Selbstversuch in der Fußball-Bundesliga

Fußball ist, wenn der Kontrahent führt – und am Ende immer der Hamburger SV als Sieger das Spielfeld verlässt. In der noch jungen Spielzeit scheint sich der Bundesliga-Dino einem verblüffenden Selbstversuch aussetzen zu wollen.

Bei den Hanseaten geht es erst richtig zur Sache, wenn sie die eigene Bude schon voll haben und wenn möglich mit 0:2 hinten liegen. Jüngstes Beispiel ist der 3:2-Sieg gegen Bayer Leverkusen nach, wie sollte es anders sein, 0:2-Rückstand. Resultat der turbulenten Spielweise: Die Nordlichter thronen erstmals seit neun Jahren an der Tabellenspitze der Liga und lässt sich vom Zweiten FC Bayern München aus respektvollem Abstand grüßen. “Wir haben eine klasse Mannschaft mit exzellenter Moral. Hut ab“, sagte HSV-Chef Bernd Hoffmann und meinte: “In dieser Saison können wir etwas erreichen.”


Die Methode mit der 0:2-Vorgabe gegen die Werkself in der mit 55.178 Fußball-Fans nicht ganz ausverkauften Hamburger Arena wurde an den Spieltagen zuvor ausgiebig getestet. Nach der gleichen Masche lief es bei den Ostwestfalen aus Bielefeld. Die Hausherren legten ein 2:0 vor, der HSV gewann mit 4:2. Anderes Spiel, gleiche Taktik beim deutschen Rekordmeister. Die Klinsmann-Elf führte bereits mit 2:0, am Ende waren sie froh, dass der Nord-Club ihnen beim 2:2 wenigstens einen Zähler überließ. Das funktionierte auch im Pokal: Beim Zweitliga-Aufsteiger Ingolstadt lag man mit 1:0 hinten, Endergebnis 3:1 für den HSV.

Diesmal hatte die Mannschaft von Coach Bruno Labbadia Tranquillo Barnetta (4. Minute) und Patrick Helmes (24.) so schnell vorgelegt, dass HSV-Schlussmann Frank Rost später verärgert von einem Scheibenschießen sprach. Doch Paolo Guerrero (37.), Ivica Olic (57.) und Joker Mladen Petric (72.) münzten die sich androhende Niederlage noch in einen Sieg um.

Chef-Coach Martin Jol, seines Zeichens glühender Verfechter des Offensivfußballs, ist die Sache inzwischen nicht mehr ganz “koscher”. “So kann es nicht weitergehen“, insistierte der Niederländer. Seinen Mittelfeldspielern drohte er mit größerer Pein. “Das sind Fehler, die auch in der Zentrale gemacht werden. Die Mittelfeld-Akteure müssen sich mehr an Abwehrarbeit gewöhnen.” Auch der Neuzugang Thiago Neves, der einen vielversprechenden Bundesliga-Einstand gab und seine Anwartschaft auf die Rolle des Regisseurs anmeldete, muss zumindest ab und zu den Rückwärtsgang einschalten und Löcher stopfen.

Die Hamburger Aufholjagd wäre vielleicht nicht so positiv ausgegangen, hätte nicht Bayers Defensivmann Manuel Friedrich bei einem Wiederholungs-Foul nach gut 30 Minuten Gelb-Rot gesehen. “Meine Mitspieler mussten leider für mich laufen. Das war ausschlaggebend für die Niederlage“, sagte Friedrich, der sich seinen 29. Geburtstag ganz anders vorgestellt hatte.

Coach Bruno Labbadia bedauerte, dass die Partie “durch die Herausstellung entschieden” worden sei und unterstellte Schiedsrichter Helmut Fleischer “zweierlei Maß“. Helmes, der im Verbund mit Sturmkollege Stefan Kießling zweitweise Katz und Maus mit der HSV-Abwehrreihe gespielt hatte, war überzeugt: “Bei 11 gegen 11 geben wir das Ding nicht mehr her.”


Der derzeitige Tabellenplatz schmeichelt den Hanseaten zwar, lässt aber noch genug Raum für Realitätsbewusstsein. “Wir sollten nicht durchdrehen und abheben“, meinte Chef Hoffmann. “Besser Erster als Zehnter“, befand Jol, mahnte gleichzeitig: “Das heißt nicht, dass wir auf einmal Meisterkandidat sind.” Reserven sieht er reichlich bei seiner Truppe. “Bayer Leverkusen ist vielleicht schon ein bisschen weiter als wir in der Balance.” Sein Rat an das Team: “Wir müssen die Füße auf dem Flur behalten.”